Neuköllner Portraits
Projekt-Zeitraum: 2018
für FamilienNeukölln liest – vielfältig und bunt! Eine Portrait-Reihe von Kindern und Neuköllner*innen, ihren Lieblingsbüchern und Lesegewohnheiten
Wer liest heute noch in seiner Freizeit? Und zählt neben digitalen Medien auch weiterhin das Buch? Der Berliner Büchertisch e.V. hat Menschen aus dem Richardkiez getroffen und nachgefragt. Entstanden sind 12 Portraits von Schüler*innen der Richard-Grundschule sowie weiteren Neuköllner*innen aus Neukölln-Rixdorf, die in kurzen Interviews ihre Lieblingsbücher vorstellen und über ihre Lesegewohnheiten und Leseerfahrungen berichten. Die Portraits zeigen Lieblingsleseorte und -positionen, erzählen von Bücherheld*innen und prägenden Leseerfahrungen. Warum greift man zu einem bestimmten Buch und zu einem anderen nicht? Hat ein Buch vielleicht sogar einmal zu einer nachhaltigen Veränderung auf das eigene Leben geführt? Eins steht fest: Rund um den Richardplatz lesen Kinder wie Erwachsene nach wie vor gerne und viel. Die Portraits zeigen einmal mehr die Vielfältigkeit der Lesegewohnheiten und zugleich die literarische Seite Neuköllns.
Ziel des Projektes „Neuköllner Portraits“ ist die Steigerung der Lesemotivation von Kindern und Jugendlichen – aber auch Erwachsenen – aus dem Kiez. Die portraitierten Personen dienen hierbei als Vorbilder und als Anregung für neugierige Leseinteressierte. Das Projekt ist als Wanderausstellung konzipiert und soll in der Zeit ab September bis Ende des Jahres an möglichst vielen Orten im Kiez zugänglich sein.
Elisa – Pip Bartlett und die magischen Tiere: Die brandgefährlichen Fussels (Maggie Stiefvater & Jackson Pearce)
Am liebsten lese ich auf dem Boden. Egal wo, Hauptsache Boden. Da kann man das Buch gut hinlegen und sich auf den Bauch legen und lesen, das ist gemütlich! Wenn mir langweilig wird, mache ich gerne ein Hörspiel an und lese währenddessen. In den Sommerferien kommt man weniger zum Lesen, weil man draußen spielt. Wir fahren im Sommer immer nach Kroatien, wenn ich gerade nicht ins Wasser will, lese ich dann auch gerne. Ich habe viele Lieblingsbücher, mein Lieblingsheld ist aber eigentlich Harry Potter. Allerdings habe ich hier die ersten drei Teile als Film geguckt. Abends lasse ich mir gerne von meinem Papa vorlesen. Am liebsten von ihm, weil er immer so viel vorliest, obwohl es eigentlich schon zu spät ist. Einschlafen kann ich dabei aber nicht, weil es bei Harry Potter momentan so spannend ist.
Elisa ist 8 Jahre alt und wohnt im Richardkiez.
Inka Löwendorf – Phantastische Nacht (Stefan Zweig)
Ich bin spät zum Lesen gekommen und tatsächlich über die Bücherei der Grundschule am Rüdesheimer Platz, wo ich in der 3. oder 4. Klasse meine ersten Comics entdeckt habe. Mein liebstes Kinderbuch war aber „Ronja Räubertochter“: Die Geschichte von einem Räubermädchen, das sich heimlich mit dem Sohn des Erzfeindes verbündet, mit ihm (Birk) ausreißt und in einer Höhle wohnt, böse und gute Wichtel trifft, Pferde zähmt, sich selbst versorgt – all das war für mich das Spannendste meiner Kindheit! Lesen ist wichtig, weil es die Sinne anregt und nur mit Sinn das Leben wirklich voll ist. Ich kann mich über eine gut gespielte Szene in einem Theater oder im Film schlapp lachen, aber etwas zu lesen und dann plötzlich wegen eines Wortes oder Satzes, durch die Anregung meiner eigenen Phantasie, nicht mehr aus dem Lachen zu kommen, das ist unbezahlbar.
Inka Löwendorf ist 41 Jahre alt, Schauspielerin und leitet den Heimathafen Neukölln.
Gustav – Miles & Niles – Hirnzellen im Hinterhalt (Jory John & Mac Barnett)
Mein Lieblingsbuch ist „Miles & Niles“, weil es sehr witzig ist und die beiden viele Streiche in der Schule spielen. Ich lese eher aus Langeweile und am liebsten lese ich eigentlich Comics. Dabei ist Mickey Mouse meine Lieblingsfigur, weil sie auch so witzig ist. In der Schule mache ich nicht mit bei der Lesezeit, die gibt es extra, da spiele ich Schach. Ich bin der beste Leser aus der Klasse, lese aber lieber in der Freizeit als in der Schule. Am liebsten lese ich dann zu Hause, weil es da am schönsten ist. In der U-Bahn ist es so laut. Eine Lieblingszeit zum Lesen habe ich nicht, das ist gemischt – mal so, mal so am Tag. Dann, wenn es passt und ich Lust darauf habe. Auch lasse ich mir von meiner Mutter gerne mal vorlesen.
Gustav ist 10 Jahre alt und wohnt in Neukölln.
Paul Grieser – Die Rote Zora und ihre Bande (Kurt Held)
Als ich so alt war wie die Kinder, die an unserem Sport- und Freizeitangebot teilnehmen, war mein Lieblingsbuch „Die Rote Zora“. Ich habe damals von einer solchen Bande geträumt. Ich fand es spannend, wie sie sich in dieser ungerechten, von Erwachsenen bestimmten Welt durchsetzen. Auch aus meiner heutigen Perspektive finde ich das Buch noch klasse, da es aufzeigt, wie wichtig es ist, solidarisch gegen ungerechte Verhältnisse anzukämpfen. Lesen ist wichtig, weil es Erkenntnis bringt, weil es inspiriert und Horizonte erweitert. Über das Lesen sammeln wir Geschichten, aus denen wir lernen, die wir weitergeben oder auch in ganz eigenen Versionen als kleine Geheimnisse für uns behalten können.
Paul Grieser ist 25 Jahre alt, Student der Sozialen Arbeit und arbeitet bei den Street Players.
Alia – Lola in geheimer Mission, Band 3 (Isabel Abedi)
Meine Bücherheldin ist Lotta aus „Mein Lotta-Leben“. Die Bücher sind geschrieben wie ein Tagebuch und in Comicschrift. Das macht Spaß, weil es mal etwas Anderes ist. Und es macht Spaß, weil Lottas Leben so schön und spannend ist, wie mein eigenes Leben. Beim Lesen ist es schön, komplett in eine andere Welt einzutauchen, man kann stundenlang lesen ohne zu merken, dass die Zeit vergeht. Am liebsten lese ich in der Türkei, im Haus der Familie. Oder in Deutschland im Bett oder auf dem Sofa, mit einem warmen Kakao und Fernsehgeräuschen im Hintergrund. Früher habe ich von meinem Vater vorgelesen bekommen, aber dafür bin ich jetzt schon zu alt. Ich lese lieber in der Klasse als zu Hause, zu Hause ist man alleine, in der Klasse macht es mehr Spaß, weil man mit anderen Kindern zusammen ist.
Alia ist 11 Jahre alt und wohnt in Neukölln.
Katinka Krause – Guck mal, schielt ja! Manuskripte aus dem Katastrophenkoffer (Ortrud Beginnen)
Ich bin, seit ich lesen gelernt habe, immer in unsere Schulbücherei gegangen, später in die Stadtbücherei und dann auch in die Amerika-Gedenkbibliothek. Lesen war schon immer meine große Leidenschaft und ist eine der schönsten Beschäftigungen, die ich kenne. Deshalb habe ich auch seit 14 Jahren meinen eigenen Buchladen. Ein Zitat, was ich aus einem Buch mitgenommen habe, ist: „Der Umgang mit Büchern ist eine Vorbereitung zum Umgang mit Menschen“ von Karamsin. Ich glaube, dass die meisten Bücher mich verändert haben, weil ich beim Lesen immer wieder auf neue Gedanken, Erfahrungen und Ideen gestoßen bin. Am liebsten lese ich natürlich im Urlaub, da habe ich richtig Zeit und Muße!
Katinka Krause ist 64 Jahre alt und betreibt „Die Biografische Bibliothek“ in der Richardstraße 104.
Elisabeth – Undine (Benjamin Lacombe)
„Undine“ ist mein Lieblingsbuch, weil so schöne Bilder drin sind. Es sind auch extra Transparente zwischen den Seiten, was so einen tollen Effekt macht. Ich finde das Buch auch toll, weil es eine Liebesgeschichte ist, die dann traurig endet und sowas lese ich gerne. In der Schule lese ich gerne in den Hofpausen, weil ich mich da zu den Blumen setzen kann. Ich finde, dass die gut riechen und da bin ich immer so entspannt beim Lesen. Und ich lese zum Beispiel auch in der Schulbibliothek. An Büchern mag ich lieber, dass man sich, wenn keine oder nur sehr wenige Bilder drin sind, vorstellen kann, wie die Figuren aussehen. Als meine Oma noch gelebt hat, habe ich manchmal ihr und meinem Opa vorgelesen. Und ich lasse mir auch gerne vorlesen, sowohl von meiner Mama als auch von meinem Papa.
Elisabeth ist 8 Jahre alt und wohnt im Körnerkiez.
Stef Bauer – Gödel, Escher, Bach – Ein Endloses Geflochtenes Band (Douglas R. Hofstadter)
Von den tausend Büchern, die ich kenne, hätte ich kein Buch so gerne selber verfasst wie eines, das ich zuerst als Teenager las: „Gödel, Escher, Bach“. Als Kind las ich v.a. illustrierte Kinder- und Jugendsachbücher zu Geschichte und zu naturwissenschaftlich-technischen Themen. Aber auch Kinderkrimis. Versunken in Bücher vergaß ich häufig jedes Zeitgefühl, während meine Mutter mit dem fertig gekochten Mittagessen auf mich wartete und mich in der Vor-Handy-Zeit durch das Bibliothekspersonal ausrufen lassen musste. Sollte ich einmal kein analoges Buch oder anderweitigen gedruckten Text dabeihaben, zücke ich mein Smartphone, wo ich immer Zugriff auf interessante Texte habe. Selbst als eingequetschte Sardine im überfüllten U-Bahnwagen.
Stef Bauer ist Anfang 40, Philosoph und arbeitet in der Zukunftsforschung.
Kauthar – Tom Gates – Wo ich bin, ist Chaos (Liz Pichon)
In meinem Lieblingsbuch geht es um Tom, der nie im Unterricht aufpasst und immer Quatsch macht. Ich lese nicht aus Langeweile, sondern weil es Spaß macht und man viel lernt. Man lernt durch das Lesen die Sprache und Rechtschreibung besser. Am liebsten lese ich im Bett, weil es gemütlich ist oder wenn es kalt ist und im Wohnzimmer auf der Couch. Ich lese auch draußen zu Hause im Hinterhof, manchmal kommen Nachbarn vorbei, dann liest man zusammen oder man erzählt, wovon das Buch handelt, das man gerade liest. Wenn man auf die Toilette muss, während man einen Film schaut, verpasst man etwas. Das kann einem bei einem Buch nicht passieren. Außerdem kann man in Büchern immer alles genau nachlesen.
Kauthar ist 10 Jahre alt und wohnt in Neukölln.
Kazim Erdogan – Kazim, wie schaffen wir das? (Sonja Hartwig)
Zum Lesen bin ich im Internat gekommen. Dort war ich 12 Jahre und hatte genug Zeit zum Lesen, weil wir nur an Samstagen rausgehen durften. Warum ich lese, hat viele Gründe: Ich setze mich immer für Kommunikation ein und versuche, Kommunikationslosigkeit und Sprachlosigkeit zu bekämpfen. Lesen ist dafür das beste Mittel, ich versuche flexibel und offen zu sein. Die bunte Gesellschaft setzt voraus, dass wir vielfältig denken und handeln. Dabei gibt es kein besonderes Buch, das mein Leben verändert hat: Ich finde alle Bücher, die ich lesen konnte, schön. Das eine ist schöner als das andere. Als eine Art Lebensweisheit aus einem Buch habe ich meinen „Standardspruch“ mitgenommen: Wenn jede*r ein kleines Brötchen backen würde, können wir eines Tages das größte Brot der Welt backen.
Kazim Erdogan ist 66 Jahre alt, Soziologe und Psychologe sowie Vorsitzender des Vereins Aufbruch Neukölln.
Tijana – Harry Potter und die Kammer des Schreckens (J.K. Rowling)
Aus meinem Lieblingsbuch sind Harry und Hermine meine Bücherheld*innen. Ich lese hauptsächlich zum Einschlafen, aber auch weil es Spaß macht. Wenn man ein Buch liest, kann man sich selbst vorstellen/ausdenken, wie die Figuren genau aussehen. Das finde ich besser als an Filmen. Dafür werden beim Lesen aber immer so schnell die Augen müde, beim Film nicht. Und Filme dauern auch meistens nicht so lange, wie wenn man ein ganzes Buch liest. Früher habe ich mir von meiner Mama gerne vorlesen lassen, jetzt will ich aber lieber selber lesen. Jetzt ist es sogar eher andersherum: Manchmal lese ich meiner Mama und Ur-Oma vor, weil es mir Spaß macht und damit sie wissen, wie gut ich lesen kann.
Tijana ist 10 Jahre alt und wohnt in Gropiusstadt.
Lujeyn – Die Schule der magischen Tiere (Margit Auer)
Hauptsächlich lese ich, weil es Spaß macht, manchmal auch aus Langeweile und weil Fernsehen nicht so gut für die Augen ist. Auf Fernsehen oder Filme habe ich oft keine Lust, im Fernsehen laufen auch fast nie gute Sachen. Ich lese meistens abends, weil ich nur einschlafen kann, wenn ich ein Buch lese. Dabei mag ich lieber dicke Bücher lesen als dünne, weil es dann nicht so schnell vorbei ist und man mehr davon hat. Ich lese lieber in der Freizeit, weil es in der Klasse zu laut ist zum Lesen. Es gibt nicht ein Buch, was gerade alle lesen müssen, jeder sucht sich ein Buch aus, das er dann in der „Lesezeit“ liest. Ein guter Bücherheld ist Winnie Puuh, weil er so nett und hilfsbereit ist. Er hilft immer allen, wenn sie Hilfe brauchen.
Lujeyn ist 7 Jahre alt und wohnt im Harzer Kiez.
Förderung
Dieses Projekt wurde gefördert von: Quartiersmanagement Ganghoferstraße