Tabea Michel arbeitet seit 2013 ehrenamtlich bei uns. Zunächst als Jurymitglied eines Schreibwettbewerbs für Jugendliche, dann als Mitredakteurin unseres Kiezkochbuchs Friedrichshain kocht und schließlich als Vorleserin für Kinder in unserem Laden in der Wühlischstraße. In ihrer Kolumne „Tabeas Textetunnel“ präsentiert sie uns ihre ganz persönliche Sicht auf die Welt: mit einem Augenzwinkern und garantiert ohne Tunnelblick. Wir wünschen Euch viel Freude beim Hindurchfahren!

Foto: Pixabay
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Einfach nur Glück

„Herzlichen Glückwunsch!“ Diese Aussage hörte ich gestern mindestens achtmal und einmal sogar voller Überzeugung aus meinem Mund. Ich war auf einer Geburtstagsfeier eingeladen. Es gab Schokoladenkuchen mit Schlagsahne und unzählige Blumensträuße, mehr sogar, als es Vasen gab, sodass irgendwann alle auffindbaren zylindrischen Gefäße zur Pflanzenherberge umfunktioniert wurden. Aber alles passte wunderbar zusammen, das sich ergebende Bild war schön und harmonisch. In einem solchen Moment an Glück zu denken, ist ziemlich naheliegend. Glück. Ein schönes, ein seltsames Wort. Noch dazu eins mit Umlaut. Bestimmt schwer auszusprechen für jemanden, der  Deutsch neu lernt. Klingt ein bisschen wie das Geräusch, das Wasser macht, wenn es den Ausguss hinunterfließt. Oder Bier beim Eingegossenwerden. Plopp! Zisch! Glück, glück, glück! Aaah! Noch eins, bitte! Aber Glück lässt  sich nicht wie Bier einfach nachbestellen. Und besoffen macht es auch nicht. Oder sagen wir: Nur in Kombination mit anderen heftigen und komplexen Gefühlen wie zum Beispiel Liebe. Aber von Glück muss man weniger pullern, und wer weniger pullern muss, muss weniger aufs Klo und gerade, wenn man unterwegs ist, ist Aufs-Klo-Gehen meist eher unschön. Drum ist Glück in jedem Fall besser als Bier.

Was aber wünschen wir jemandem, dem wir Glück wünschen? Was  genau ist dieses Besser-als-Bier-Ding eigentlich? Ich würde sagen: Glück ist, wenn man den Bus gerade noch bekommen hat. Wenn man sein Portemonnaie doch nicht verloren, sondern nur zu Hause auf dem Küchentisch vergessen hat. Und wenn man weiß, wie man Portemonnaie richtig schreibt. Zumindest dann, wenn man in der Schule sitzt und dieses Wort Bestandteil eines gerade stattfindenden Diktats ist.  Ich weiß, wovon ich spreche. Glück ist oft ein Schwein, ein fettes, rosiges, junges. Es könnte Siegfried heißen oder Siegfrieda, wenn es ein Mädchen ist. Oder Siegfriederike. Siegfriederike könnte einem Schornsteinfeger gehören oder einer Schornsteinfegerin, wenn  der Schornsteinfeger ein Mädchen ist, und gemeinsam könnten sie in den Wald gehen und  Klee sammeln, vierblättrigen. Oder Glückspilze, rote mit weißen Tupfen.  Aber ach, enthalten die nicht ein Gift, das tödlich ist?  Ist Glück denn etwas, an dem man am Ende stirbt? Ich bin verwirrt und habe Durst.  Ein Bier wäre jetzt nett, allein des Geräusches wegen.  Ich habe aber keins, nur Rum. Also trinke ich den. Rum ist  auch ein schönes Wort, geht es mir dabei durch den Kopf. Als Präfix vor Tätigkeiten gestellt,  gibt es ihnen etwas Lässiges und weniger Zielgerichtetes: Rumlaufen, Rumsitzen, Rumhängen, Rumräumen, Rumknutschen, Rumsuchen. Rumsuchen ist gut, denke ich, und gebe den Begriff „Glück“ bei Google ein. Hundertzweiundvierzigmillionen Treffer in sechsundfünfzig Sekunden. Mir wird ganz schwindelig. Ich beschließe, morgen mit der Auswertung der Ergebnisse anzufangen. Und mit dem Trinken aufzuhören. Morgen. Ja, morgen. Das ist verdammt weit weg von heute. Zum Glück.