Unsere ehrenamtliche Mitarbeiterin Tabea Michel arbeitet als freiberufliche Übersetzerin und arbeitet aktuell mit uns an unserem Buchprojekt “Friedrichshain kocht”. Heute gibt sie euch einen kleinen Einblick in ihre Erlebnisse.

„Ich muss unbedingt wieder Scheiße bauen, damit ich bald nochmal zu euch kommen kann“
Mit diesen Worten zitiert Juliana (26), Sozialarbeiterin im Café Pavillon, bei unserem Interview am vergangenen Dienstag einen ihrer Klienten. Das Café Pavillon am Boxhagener Platz ist ein Ort, an dem straffällig gewordene Jugendliche ihre Sozialstunden ableisten, indem sie Kaffee kochen, Milch aufschäumen oder selbst gemachten veganen Grieß verkaufen und so neue Lebensperspektiven aufgezeigt bekommen.
Es sind Projekte wie dieses, die die Mitarbeit am Buch „Friedrichshain kocht“ für mich so spannend machen. Projekte, denen man anmerkt, dass sie mit viel Herzblut, Hingabe und Offenheit betrieben werden. Entsprechend ungezwungen ist die Atmosphäre in den Interviews, man kommt leicht mit seinen Partnern ins Gespräch, lacht und macht Scherze. Und im Anschluss gibt es immer was Leckeres zu essen: Das Gericht nämlich, mit dem sich der jeweilige Verein in Friedrichshain kocht präsentiert.
Lachsspaghetti zum Beispiel. Die gab es bei Fortschritte e.V., einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in der Weichselstraße, die seit über zwanzig Jahren Freizeitmöglichkeiten für junge Menschen mit Behinderung schafft und ihnen darüber hinaus hilft, ein eigenständiges Leben außerhalb des Elternhauses oder einer Heimeinrichtung zu führen.
Oft haben die Eltern größere Schwierigkeiten damit, eine Behinderung zu akzeptieren als die Betroffenen selbst, wird aus dem Gespräch mit Sybille Orlt, der Gründerin von Fortschritte e.V., deutlich. Denn: Was für Menschen, die mit einer Behinderung geboren wurden, ein Stück Normalität ist und als integraler Bestandteil der eigenen Persönlichkeit aufgefasst wird, ist für Eltern ein hartes Schicksal. Mein Kind wird es ein Leben lang schwerer haben als die anderen, denken sie. „Die Behinderten denken dies in der Regel nicht. Weil sie gar nicht wissen, wie es sich anfühlt, ohne eine Behinderung zu leben. Sie kennen den Unterschied nicht“, sagt Orlt. Ich stimme ihr zu. Als junge Frau, die mit einer Infantilen Cerebralparese zur Welt gekommen ist, weiß ich sehr genau, was sie meint. Mein Aufnahmegerät habe ich inzwischen ausgemacht. Wir haben eine Dreiviertelstunde miteinander geredet. Der offizielle Teil des Gesprächs ist längst vorbei. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass noch nicht alles gesagt ist. Dass wir uns noch ewig weiter unterhalten könnten. Ich fühle mich verstanden. Sybille Orlt scheint es ähnlich zu gehen. Sie schlägt ein erneutes Treffen vor. Zu zweit. Ohne Aufnahmegerät. Ich willige begeistert ein und verspreche, wiederzukommen.
Ähnlich wie der Klient aus dem Café Pavillon, der extra Scheiße bauen will, um an einen für ihn schönen Ort zurückkehren, geht es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich fühlte auch er sich verstanden. Vielleicht sogar zum ersten Mal in seinem Leben, überlege ich. Menschen, die ein solches Gefühl in einem wachrufen können, sind rar gesät. Und sie sind unfassbar wichtig für einen positiven Verlauf der eigenen Biographie. In den Vereinen, die ich (allein oder zusammen mit Kollegen) für „Friedrichshain kocht“ interviewt habe, arbeiten viele solcher seltenen, wichtigen Menschen, habe ich den Eindruck. Das zu sehen, ist schön. Und genau deshalb ist die Mitarbeit an diesem Projekt eine sehr große Bereicherung für mich.
