Fußball und Literatur – geht nicht zusammen? Geht doch! Zeigt uns unsere Ehrenamtliche Jana Weiß.

Ball-Spielarten der Lyrik: Über Fußball und Literatur
„Sport und Literatur sind nahe Verwandte, die sich ähneln. Sie ähneln sich zu sehr, um sich aufrichtig lieben zu können. Es sind im Grunde feindliche Brüder.“
Ganz Unrecht hat Marcel Reich-Ranicki damit sicher nicht. Schließlich waren Fußball und Literatur über lange Zeit hinweg zwei scheinbar unvereinbare Phänomene. Dass es der Fußballsport, als er Ende des 19. Jahrhunderts nach Deutschland kommt, nicht gleich schafft, die zeitgenössischen Dichter für sich zu gewinnen, verwundert kaum: Wer kann sich schon einen Selbstinszenierer wie Stefan George beim Mannschaftssport vorstellen? Gar nicht erst auszudenken der hypochondrische Rilke – aus Angst vor Fouls hätte er es sicher nicht mal auf das Spielfeld geschafft. Doch selbst gestandenere Männer wie Jean-Paul Sartre, der sich bald für den Fußball begeistert, gewähren dem Sport keinen Einzug in die Literatur.
Fußballspielen gilt in gehobeneren Kreisen um 1900 als unkultivierte, rüpelhafte Sportart. Sie als Intellektueller zu betreiben ziemt sich nicht. Die breite Masse hingegen ist Feuer und Flamme für den neuen Ballsport. Man kickt selbst, feiert im Stadion die Triumphe seines Vereins oder lauscht gebannt den Spielübertragungen im Radio. Manch ein Schriftsteller sieht sich in Anbetracht dieser um sich greifenden Fußballmanie sogar genötigt, warnende Worte auszusprechen. So Joachim Ringelnatz:
Der Fußballwahn ist eine Krankheit,
aber selten, Gott sei Dank!
Ich kenne wen, der litt akut an Fußballwahn und Fußballwut.
Sowie er einen Gegenstand
in Kugelform und ähnlich fand,
so trat er zu und stieß mit Kraft
ihn in die bunte Nachbarschaft.
Ob es ein Schwalbennest, ein Tiegel,
ein Käse, Globus oder Igel,
ein Krug, ein Schmuckwerk am Altar,
ein Kegelball, ein Kissen war,
und wem der Gegenstand gehörte,
das war etwas, was ihn nicht störte.
Das kann nicht gutgehen. Beim Versuch, schließlich den größten aller Bälle, den Erdball zu schießen, verschwindet der Fußballbegeisterte im Weltall und ward nie mehr gesehen. Und die Moral von der Geschicht:
Ich warne euch, ihr Brüder Jahns,
Vor dem Gebrauch des Fußballwahns!
Genützt haben derartige Warnungen nichts. Der Siegeszug des Fußballs war nicht aufzuhalten. Und spätestens in unserer heutigen Zeit, in der der Fußball vollkommen gesellschaftlich etabliert ist, gilt auch: Fußball und Literatur – so schlecht passt das gar nicht zusammen.
Nicht nur die Perspektive des Tormanns und seiner Angst beim Elfmeter ist inzwischen literarisch ausgeleuchtet worden: Vorstopper Verteidiger / Innen- Aussenstürmer / Meister für das Mittelfeld; – sie alle dürfen mitspielen auf dem Feld der Literatur.
Besonders im Bereich der Lyrik scheint der Fußball zur neuen literarischen Spielart geworden zu sein. Wie der Spieler auf dem Platz Bälle annimmt und verwandelt, greift der Dichter altbekannte Verse auf und verwandelt sie in Fußball-Lyrik. So versetzt Ulla Hahn das kontemplative Sonett August Graf von Platens Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite . . . schlichtweg auf den grünen Rasen:
Es sehnt sich ewig jeder Ball ins Weite
und möchte vorwärts immer vorwärts streben
von Fuß zu Fuß und nicht am Rasen kleben
nicht an die Hand und nicht hinaus zur Seite
sich schlagen lassen; vielmehr schnell und leicht
vom Mittelfeld mit spanngenauen Flanken
mit Fallrückziehern und gefälschten Pässen zur
Steilvorlage in den Strafraum ranken. Dort reicht
dem Balle sich entgegen nun der Fuß
der ihn verwandelt in die reine Lust. Der Ball
erbebt, stößt vor, zerreißt die Luft. Ein Schuß!
so von Linksaußen auf den rechten Fleck.
Es sehnt sich ewig jeder Ball ins Tor
und auch der Kahnste muß mitunter passen.
Und auch in Eckhard Henscheids Hymne auf Bum Kun Cha, in der er den koreanischen Fußballer zum Kenntnisreichen Künstler am schwarzweißen Balle verklärt, klingt einem Hölderlins Hälfte des Lebens in den Ohren, wenn dort im Wind die Fahne zum Eckstoß klirrt.
Das Feld des Fußballs ist zum lyrischen Spielfeld geworden, auf dem sich Dichter epochenübergreifende Bälle zuspielen, annehmen und verwandeln. Wenn dies gelingt, entsteht Poesie – eben wie im Fußball ein gutes Spiel. Mit den Worten des Dichters Michael Buselmeier:
Ein gutes Fußballspiel ist wie ein gutes Gedicht,
sagtest Du immer, eine Mannschaft ohne Abenteurer
ist wie ein Land ohne Poesie.
Wir danken der Autorin Ulla Hahn für die freundliche Genehmigung der Textverwendung! Ihren Band Gesammelte Gedichte sowie viele weitere Lyrikbände von Ulla Hahn findet ihr in unserem Online-Shop.
Des Weiteren danken wir dem Verlag Das Wunderhorn für die freundliche Genehmigung des Abdrucks der Textstelle aus Michael Buselmeiers Gedicht Wunder und Schrecken!
Textausschnitte aus:
Buselmeier, Michael: Ode an die Sportler. Das Wunderhorn, Heidelberg 1998.?
Hahn, Ulla: Geballte Sehnsucht.?Ringelnatz, Jochaim: Fußball. Textquelle: Online-Textkorpus des Projekt Gutenberg: http://gutenberg.spiegel.de