In unserer neuen Reihe „Berliner AutorInnen blicken auf Berlin“ stellt euch unsere ehrenamtliche Mitarbeiterin Jana Weiß regelmäßig literarische Berlinperspektiven vor. Jana studiert an der FU Deutsche Philologie im 4. Semester.

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„Paris ist schön … sehr schön. Aber leben, leben in Berlin“
schrieb Mascha Kaléko (1907-1975), geschätzte und geschmähte Lyrikerin im Berlin der 20er
und 30er Jahre, von einer Frankreichreise 1932 nach Hause. Nach Berlin – der Stadt, die
Mittelpunkt ihres Lebens und Fixpunkt ihres dichterischen Schaffens geworden war. Dabei
fühlte sich die galizische Jüdin, die im Alter von 16 Jahren mit ihrer Familie nach Berlin
umsiedelte, zunächst durchaus als Fremdling in der großen deutschen Metropole.
Man lebte in der Spandauer Vorstadt – ein Viertel, das vor allem von armen osteuropäischen
Juden bewohnt wurde, die zu dieser Zeit als minderwertige Gesellschaftsgruppe galten. Ihre
Herkunft verschwieg Mascha Kaléko daher oft. Sie versuchte sich anzupassen, möglichst
nicht als „anders“ aufzufallen. Sprachfeinfühlig wie sie war, begann sie sich in den Berliner
Dialekt einzuhören und fand so den schnoddrigen Ton, der später zum Charakteristikum ihrer
Lyrik wird.
Nach Abschluss der Schule beginnt sie eine Ausbildung zur Stenotypistin. Der Beruf füllt sie
nicht aus – lieber hätte sie studiert, aber es sind schlechte Zeiten. Inflation und
Massenarbeitslosigkeit bestimmen das Berliner Leben. Raum für ihre eigentlichen Interessen
bleibt Mascha Kaléko nur am Ende der monotonen Achtstundentage. Sie besucht universitäre
Abendkurse in Philosophie und Psychologie – und entdeckt das Schreiben für sich.
Aus dem Alltag flüchtet Mascha in die Poesie.
Aus dem Alltag flüchtet Mascha in die Poesie. Und poetisiert dort den Alltag. In Kontrast zur
traditionell gefühlvollen Lyrik dichtet sie in einem neuen Stil, der in seiner Sachlichkeit
tatsächlich ein bisschen an Schreibmaschinentexte aus dem Büro erinnert. In ihren Gedichten
skizziert sie das Berliner Großstadtleben, spürt den Sorgen der kleinen Leute nach und
thematisiert zwischenmenschliche Beziehungen in der Anonymität der Metropole. Maschas
Berlin ist das der jungen Bürodamen und Angestellten, die im Gewühl der Großstadt auf der
Suche nach dem kleinen Glück sind.
Mit fast vier Millionen Einwohnern ist Berlin zu dieser Zeit nach London und New York die
drittgrößte Stadt der Welt. Auf den Straßen herrscht lautes und hektisches Treiben.
Ein Idyll war das Berlin der 20er Jahre sicher nicht – wie Mascha Kalékos Gedicht Frühling
über Berlin verdeutlicht. Spöttisch ironisiert sie darin das berühmte romantische Gedicht
Frühling lässt sein blaues Band… (1892) von Eduard Mörike. Und die bei Mascha Kaléko beschriebene Großstadtliebe scheint die Bezeichnung „Liebe“ gar nicht recht verdient zu haben – so unromantisch und kurzlebig wie sie ist.
Die Mischung aus Melancholie und Heiterkeit, die den Ton dieser Gedichte bestimmt, gilt bald als Mascha Kalékos Markenzeichen. Ironisch, einfühlsam und mit scheinbar plaudernder Leichtigkeit nähert sie sich ihren Themen und schafft es so, das Lebensgefühl der 20er Jahre in die Literatur zu übersetzen.
Bald drucken mehrere Berliner Tageszeitungen ihre Gedichte. Ihr erster Band Das lyrische
Stenogrammheft, der 1933 beim renommierten Rowohlt Verlag erscheint, ist innerhalb kurzer
Zeit vergriffen. Mascha Kaléko ist zum neuen Star der Berliner Literaturszene geworden. Im
„Romanischen Café“ an der Tauentzienstraße, dem damaligen Künstlertreff der Avantgarde,
begegnet sie anderen berühmten Schriftstellern wie Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky,
Joachim Ringelnatz und Erich Kästner – sie diskutiert, phantasiert und schreibt. Viele sehen
in ihr eine Vertreterin des neuen Frauentypus der 20er Jahre – selbstsicher und unabhängig.
Doch auf die „leuchtenden Jahre“ in Berlin folgt „die große Verdunkelung“ – wie Mascha
Kaléko es später rückblickend beschreibt. 1935 erhält sie als jüdische Schriftstellerin
Schreibverbot, im September 1938 – zwei Monate vor der Reichspogromnacht – verlässt sie
Berlin und emigriert mit Mann und Sohn in die USA. Die Familie lebt nun in New York. Bald
beherrscht Mascha genügend Englisch, um mit Übersetzungen und Werbetexten Geld zu
verdienen, dichten kann sie jedoch nur in ihrer Muttersprache. Sie sehnt sich nach der
verlorenen Heimat, nach Deutschland und Berlin.
Zugleich ist die Erinnerung an das Land, das sie einst vertrieben hat, äußerst schmerzlich und bedrückend. Erst zehn Jahre nach Kriegsende wagt Mascha Kaléko die erste Reise nach Deutschland. Es kommt zum Wiedersehen mit Berlin. Der Besuch ist sehr aufwühlend. Die Stadt liegt in Trümmern und Mascha wird bewusst, dass „ihr Berlin“ für immer verschwunden ist. Das Wiedersehen wird zum Loslassen. Die geliebte, dann verlorene Stadt Berlin – nun nimmt Mascha Kaléko von ihr Abschied. Ein paar mal wird sie noch zurückkehren. Dort leben, „leben in Berlin“ – wie sie 1932 noch sehnsüchtig schrieb – wird sie nicht mehr.
1975 stirbt Mascha Kaléko in Zürich. In der Berliner Bleibtreustraße, Haus 10/11, wo sie vor
ihrer Emigration wohnte, erinnert eine Gedenktafel an sie.
Buchtipp: Rosenkranz, Jutta (Hrsg): Mascha Kaleko. Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. dtv, München 2012.
Weitere Bücher von Mascha Kaléko findet Ihr in unserem Onlineshop.
Danke für diesen tollen und gut recherchierten Beitrag.
Vielleicht interessiert der Hinweis: Mascha Kalékos Lektor beim Rowohlt Verlag war Franz Hessel*, in der Nachkriegsausgabe vom „Lyrischen Stenogrammheft“ steht ihre Widmung für ihn, den „Heiligen Franziskus vom Rowohlt Verlag Anno dazumal“ :
„Dies Versbuch, lang vergriffen und verboten,
Widme ich dem Gedächtnis eines Toten –
FRANZ HESSEL, Dichter, Heiliger und Lektor,
Mein Schutzpatron und lyrischer Protektor,
Der milde tadelnd und mit strengem Lob
Das STENOGRAMMHEFT aus der Taufe hob. (…)“
* Franz Hessel, Ein Flaneur in Berlin; ders., Ermunterungen zum Genuß; u. a., (Verlag Das Arsenal, Berlin)