Hier kommt die dritte Gewinnergeschichte unseres Kurzgeschichten-wettbewerbs. Mach mit und wähle deinen Publikumsliebling aus den 11 Gewinnertexten:

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Viel Spaß beim Lesen!

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Martina Koesling: Freie Zeit

„Das Buch hättest du zuhause lassen können. Das wird dir nichts nützen.“ Schaukelnd bog die Straßenbahn um die Ecke, die Sonne brannte durch die schmutzigen Scheiben, drinnen stand die Hitze. Mona hatte sich ihre Sonnenbrille ins Haar geschoben und schaute kritisch. Und ich sah ihrem rot geschminkten Mund beim Formen der Worte zu: „Wenn man unter Leute kommen möchte, kann man nicht immer nur lesen.“

Sie verschränkte die schlanken, hellbraunen Arme vor der Brust und schlug die Beine über. Ihre linke Sandale reichte nun weit in den engen Straßenbahngang hinein und rutschte fast vom Fuß, nur noch vom rotlackierten, großen Zeh gehalten. Ich wischte mir die Hände an der Hose ab. Es war viel zu warm.

Den Kopf in den Nacken gelegt, sah ich mir die Fahrgäste unmittelbar vor mir an. Das war nicht leicht, denn meine Nase berührte beinahe ihre Bäuche. Es gab eine Frau Mitte 40, die eine große Tasche voll mit Einkäufen – augenscheinlich hauptsächlich Porree und Kohlrabi – transportierte und hellrot im Gesicht war, die Hitze setzte auch ihr zu. Daneben eine Oma mit Enkel, Eis verkleckernd und Eis aufwischend, und ein Mann mit Fußballschal und Bierfahne.
Als ich wieder zu Mona blickte, lächelte sie und neigte dabei den schönen Kopf etwas nach rechts.

„Ich meine es nicht böse, Clara. Das weißt du hoffentlich?“ Ich nickte.
„Ich möchte, dass es dir gut geht.“
„Das tut es.“
Jetzt nickte sie nachsichtig. „Aber noch ein bisschen besser.“
„Deswegen verbietest du mir das Lesen?“

Mona sah mich an wie ein rebellisches Kind, das die neuen Schuhe an den Schnürsenkeln über einen Fluss mit starker Strömung baumeln lässt. Dann setzte sie ihre Sonnenbrille wieder auf und warf einen kurzen Blick auf die Uhr.
„Du wirst deinen Spaß haben. Die meisten Leute kennst du sowieso schon, sie sind ja ständig zu Besuch. Es ist wirklich nicht schwer, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“

Mit einem Ruck öffneten sich die Türen der Bahn und wir schoben uns zwischen Kohlrabi, Eis und Bier auf den heißen Bürgersteig. Mona ging voran und ich folgte ihrem gebräunten Rücken. Die Bastmatte unter den Arm geklemmt und im luftigen Kleid, das bei jedem Schritt um ihre Knie schwang, sah sie selbst bereits aus wie ein Tag im Park.
An einer Ampel blieben wir stehen, die heißen Abgase im Gesicht. Mona sah mich besorgt an.

„Clara, du weißt doch, dass ich es nicht böse meine?“

Einen Moment blickte ich, wie in Gedanken, auf die Kreuzung, dann ging ich in die Knie und zog einmal kurz und kräftig an Monas Kleid. Dieses –schulterfrei und von keinem Gramm Fett zusätzlich gehalten– gab sofort nach und rutschte ihr bis auf den Bauch hinunter. Zu meinem Glück wurde die Ampel nun grün, das letzte Stück bis zum Park rannten wir.

„Ich hasse dich. Von ganzem Herzen!“, rief Mona japsend.
„Du bist der furchtbarste Mensch auf der Welt. Es ist mir peinlich, mit dir gesehen zu werden.“ Sie schlug mit ihrer albernen Parkmatte auf mich ein und ich lachte.
„Wären wir nicht mit den Anderen verabredet, ich würde jetzt nach Hause gehen.“
„Oh ja. Von mir aus gern.“
Ich erntete einen strengen Blick.
„Nichts da. Jetzt haben wir Spaß.“ Sie legte mir den Arm um die Schultern und leicht widerstrebend ließ ich mich auf den schattigen Parkweg ziehen.

Martina Koesling ist 22 Jahre alt und studiert Deutsch und Spanisch.