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Viel Spaß beim Lesen!

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Caroline Schubert: Das Buch

Das Buch lag auf dem Schreibtisch, verborgen unter einem Stapel Kopien. Es war eigentlich fast leer. Er blätterte durch lauter weiße Seiten, bis er auf einen Eintrag in der Mitte des Buches stieß. Er war vorher eine Weile herumgeschlendert, durchs Bad (hatte an ihren Parfums gerochen und die Haarklammern an sich ausprobiert), durch die spärlich eingerichtete Küche – bloß ein Tisch, zwei Stühle, die Spüle mit dem ungespülten Geschirr. Er hatte kurz aus dem Fenster gesehen. Da ging sie die Straße hoch, Richtung Bäcker, die Haare waren nur flüchtig gebürstet und wippten lose bei ihren zügigen Schritten. Er nippte an seinem Kaffee, dachte an die Kraft ihrer Schenkel. Wie sie sich beim Tanzen gegen die enge Jeans abgedrückt hatten; die kleinen Schweißperlen über ihrer Oberlippe, später.

Er hatte noch einen Schluck genommen, war in den Flur gegangen. Hier öffnete er die Türen ihres Kleiderschranks, Jeans, T-Shirts, ein paar Blusen. Die Schublade mit der Unterwäsche: hauptsächlich Baumwollhöschen, schlicht, nur zwei, drei mit Spitzen besetzt. Kurz rieb er den Stoff zwischen den Fingern, er war zart. Er war zum Schreibtisch gegangen. Eine Tasse mit angetrocknetem Kaffeesatz, angekaute Bleistifte, ein Wörterbuch Russisch-Deutsch, ein Stapel Kopien. Er hatte sie nachlässig durchgesehen, während er an seinem Kaffee nippte. Artikel über Kunst, 20er Jahre. Eine Geschichte „Gibt es mich überhaupt?“ von einem R.C. Phelan. Weiter nichts, das ihn interessierte. Darunter lag das Buch. Er schlürfte einen weiteren Schluck Kaffee und nahm es hoch, ein Notizbuch im schwarzen Ledereinband. Er schlug es auf. Auf der ersten Seite: Ihr Name. Die nächste Seite: leer. Er blätterte weiter, alles war leer. Er wollte es schon weglegen. Erst in der Mitte des Buches hatte sie angefangen. Er stellte seine Kaffeetasse auf den Schreibtisch und begann zu lesen.

„12.05.2013 Ich kannte ihn eigentlich noch nicht. Mir war unwohl zumute. Bei allem. Bei der Art, wie ich mich kleidete, meine Haare aufsteckte. Bei allem, was ich ihm sagte, bei meinem Lächeln. Bei seinem Lächeln. Wie er neben mir herging, mir von sich erzählte. Nichts davon interessierte mich wirklich und ich tat so, als würde mich alles interessieren. Und wie er von sich erzählte. Wie er die Informationen rausspuckte, als würde er bellen. Ich. Bin. Jetzt. Selbständig. Webdesign. Jep! Webdesign. Aufträge ranholen. Auf! Träge! Ich erzählte auch. Versuchte, lustig zu sein. Er bellte zwischendurch ein ‚Jep!‘ hinein. Irgendwie ließ mich das verstummen. Wenn man ‚Jep!‘ schreit, gibt’s ja nichts mehr zu sagen. Manchmal dachte ich, vielleicht sollte ich auch ‚Jep!‘ rufen. Und dann wäre er wieder dran. Und dann wieder ich: ‚Jep!‘ So würden wir uns gut verstehen.Ich stellte mir vor, wie er über mich dachte, wenn er so tat, als interessiere er sich für meine Witze. Auf einmal fragte ich mich, was er dächte, würde er mich heimlich beobachten und erschauerte dabei, ein bisschen angewidert. Ich stellte mir vor, dass er mich ungesehen, ohne Störung studieren wollte. Ich stellte mir sogar vor, wie er in meiner Wohnung herumging und alles bis ins Detail untersuchte. Alles berührte. In dieser Vorstellung ging er ins Bad, sprühte sich mein Parfum aufs Handgelenk und roch daran. Er öffnete meinen Kleiderschrank, durchstöberte meine Kleider. Sogar meine Unterwäsche. Und dann fand er mein Tagebuch. Das Buch lag auf dem Schreibtisch, verborgen unter einem Stapel Kopien. Es war eigentlich fast leer. Er blätterte durch lauter weiße Seiten, bis er auf einen Eintrag in der Mitte des Buches stieß…“

Caroline Schubert ist 26 und studiert an der FU Berlin.