Eine Rezension von unserer Kundin Annett Stenzel:
Teheran, Stadt ohne Himmel ist ein Roman, so könnte man zynisch meinen, der von einer Stadt handelt, deren Himmel man erst erblickt, wenn man am Ende des Tages niedergestreckt auf dem Asphalt der Straße gelandet ist und auf dem Rücken liegend erblickt, was einem die Erinnerung nicht zeigt: Ein Vanitas-Roman, der tragisch um die Verbundenheit des Selbst eines Menschen mit Zeit und Ort zu erzählen weiß.
Teheran steht nicht nur für die jüngste Grüne Revolution, sondern auch für die im Roman kenntlich werdenden Umwälzungen einer Gesellschaft, vor, während und nach der Islamischen Revolution als Ort politischer Geschichte.
Bereits der Einstieg ist außergewöhnlich. Die Zeit sticht im Buch als Vermessungsmittel der Handlungsteile hervor: Zwar steigt man in das Buch gewöhnlich mittels der Kapitelübersicht hinein, deren Titel geben dann allerdings beunruhigend gleichberechtigt, in chronologischer Folge Stundenzahlen an.Vor dem Beginn des 1. Kapitels steht ein Zeitstrahl, der die wichtigsten Lebensabschnitte zur Hauptfigur Keramat von 1929 bis 1994 vermerkt. Die Kapitel führen uns stundenweise durch den letzten Lebenstag von Keramat, wobei Keramats Erinnerungen durchschritten werden. Wie in einer Zeitkapsel werden die verschiedenen Erinnerungen durch eine Zeitklammer zusammengehalten, nämlich durch den Anruf einer Frau, die Keramat geliebt hat und das folgenreiche Wiedersehen der beiden.
Die oft von Gewalt bestimmten Erinnerungsbilder machen jedoch nicht nur das Seelen- und Selbstbild Keramats aus, sondern an Hand von ihnen durchzieht der Leser auch die Stadt Teheran und gelangt an Ecken und Zeitgeschehen, die bei einem tatsächlichen Besuch der Stadt in jener Zeit wahrscheinlich verborgen geblieben wären. Dabei konfrontiert Cheheltan den Leser mit Keramats Gewalt normalisierenden Grundhaltung, wobei der er die Gedanken seiner Figur schonungslos und in gekonntem sprachlichen Ton festhält. Insgesamt schafft Cheheltan einen sehr genauen Eindruck von dem, was einem Menschen auch real in den Blick fallen könnte, wobei er den Blick auf alles Detailhafte lenkt, was flüchtig erfasst und doch genau in Erinnerung bleiben kann. Die Abbildung gesellschaftlicher Identifikation von Sexualität und Geschlecht vollzieht sich dann auch sehr feinsinnig am Rand der Erzählung an Hand von Gerüchen – als Abbildung der persönlichen Wahrnehmung von Keramat.
Das Buch ist insofern lobenswert, als dass es einen Raum für einen einfachen Menschen mit dessen Lebensweise und Innerem öffnet, der aus den ärmlichsten Verhältnissen aufsteigt. Spannend und authentisch macht den Roman die vom Autor gewählte Vermischung der fiktiven Person Keramat, mit dem authentischen Milieu und seinen historischen Figuren. Keramats Figur lehnt sich dabei an einen politischen Mitläufer an.
Teheran, Stadt ohne Himmel zeigt weiter, dass das in der Gegenwart aktuell künstlerisch und philosophisch vielfach hervorstechende Thema Zeit sich in der Literatur gleichwertig philosophisch und kunstvoll, im Roman in Form und Erzählweise, hervorheben lässt. Zusammenfassend kann man sagen: Das Buch ist spannend und empfehlenswert für alle, die einen bezaubernden und gleichzeitig rauhen Sprachstil schätzen, der Gefühle und Situationen detailreich aufgreift und damit die beständige Aufmerksamkeit seines Lesers einfordert. Der hierdurch oft sehr unterhaltsame Roman fehlt es allerdings auch nicht an der lebendigen Brisanz der damals wie heute gewalttätigen und politischen Tatsachen des Lebens, hier in der Geschichte Irans und Teherans verankert.
Hinzufügend muss erwähnt werden, dass der Roman erstmalig in ungekürzter Fassung erhältlich ist; in der persischen, sowie arabischen Ausgabe konnte er bislang nur zensiert erscheinen.
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Titel: Teheran, Stadt ohne Himmel
Autor: Amir Hassan Cheheltan
Verlag: C.H. Beck
Genre: Gegenwartsliteratur
ISBN: 978-3406639432
Preis: 19,95 Euro
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