Eine Rezension von unserer Kundin Nora:

Buchcover Reisen zu den RomaDer Fotograf Alain Keler schreibt in seinem neuen Buch „Reisen zu den Roma“, er habe in den 10 Jahren, in denen er herumreiste, um Roma in verschiedenen Ländern zu fotografieren, und in denen dokumentarische Fotos über deren Lage entstanden sind, noch keines dieser Bilder verkauft.

In dem jetzt auch auf deutsch (übersetzt von Wolfgang Bortlik) erschienenen Band ist aus diesen Fotografien, verbunden mit Zeichnungen von Emmanuel Guibert, eine Reportage über die Lage der Roma entstanden. Das Buch ist ein lebendiges und vielfältiges, das die Genregrenzen überfliegt. Es kann als Graphic Novel bezeichnet werden oder als Comicreportage, es funktioniert als eine Art Sachbuch, als Dokumentation.

Ausschnitthaft berichtet Keler von seinen Reisen zu den verschiedenen Wohnorten von Roma im Kosovo, in Serbien, Tschechien, in der Slowakei, in Italien und in seinem Heimatland Frankreich. Unterteilt in Kapitel, werden Episoden aus den unterschiedlichen Siedlungen erzählt, oftmals bedrohte Räume, von denen es einige längst nicht mehr gibt. Momentaufnahmen: Radschlagende Kinder, engagierte Sozialarbeiter, ein gebrochenes Objektiv, Energie, Bahngleise, Langeweile, Wut, Mauern. In Farbe und Schwarz-Weiß. Ein paar Menschen, die er getroffen hat, lernen wir näher kennen, wir können kurz hineinschauen in ihre Umgebung, in Gesichter, in Hauseingänge und auf Hütten.
Es ergeben sich viele Fragen während des Lesens, ein ausführliches Vorwort und ein längerer Epilog geben nähere Erklärungen, ebenso die Legende am Schluss des Buches.

Alain Keler entscheidet sich für ein persönliches Buch. Er legt seine Arbeitsweise, die sich nach vielen Jahren von einer schnellen und oberflächlichen in eine ruhige, intensivere gewandelt hat, offen, berichtet über eigene Ängste, über Verständigungsschwierigkeiten und Unsicherheiten, über seine Gefühle. Auch ein Teil der eigenen Familiengeschichte fließt mit hinein: die Verfolgung seiner Großeltern und ihrer Tochter, und deren Ermordung in Konzentrationslagern. Alain Keler bezieht in diesem Buch ganz klar Position für eine immer wieder verfolgte Minderheit und auch wenn manche Sätze etwas pathetisch ausfallen, sind Bilder und Text weder kitschig noch rührselig, aber trotzdem berührend. Es stellt sich vielmehr heraus, dass es eigentlich nicht zu fassen ist: Brandanschläge oder ein über Nacht zum Spielen unbrauchbar gemachtes Fußballfeld, das staatliche Zerstören von Häusern, die oft über Jahre hinweg mühsam aufgebaut wurden.

Im Epilog schreibt er: Ich bin einmal über den Satz einer Historikerin gestolpert, der mir seither im Gedächtnis geblieben ist: “Die Roma sind der erste Riegel der Demokratie, der gesprengt wird.” Ich finde das treffend formuliert. Die Diskriminierung der Roma wird auf uns selbst zurückfallen. Wenn wir die Schwächsten im Stich lassen, ist es schlimm um uns bestellt, denn das ist immer ein gesellschaftlicher Rückschritt. Es ist eine Entmenschlichung. Die Überzeugung, es gäbe in Europa Menschen, die per se anders sind als andere, Parasiten, Diebe, Halsabschneider und Schwindler, schmutzig und unbelehrbar, ist weit verbreitet. Das ist kein neues Phänomen. Man hört es überall, in sämtlichen Sprachen, mal mehr, mal weniger laut.

Alain Keler berichtet einerseits über die oftmals unwürdigen Lebensbedingungen der Roma, er zeigt aber auch Perspektiven auf, Hilfsangebote und Bewegungen, die gewillt sind etwas dagegen zu tun, er selbst ist Teil einer solchen Initiative geworden.

In Form und Inhalt sticht dieses Buch heraus. Der Autor geht auf dringende politische Themen unaufgeregt und sehr menschlich zu; die Kombination von guten Fotografien, Zeichnungen und Texten ergeben eine Erzählung, die trotz ihres bedrückenden Inhaltes, eine sehr gelungene ist.

Dieses Buch ist im Onlineshop und in den Läden bestellbar.

Titel: Reisen zu den Roma
Autor: Emmanuel Guibert, Alain Keler, Frédéric Lemercier
Verlag: Edition Moderne
Genre: Graphic Novel
ISBN: 978-3-03731090-8
Preis: 25,00 Euro

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